“Mann, bin ich blöd!!”

SelbstverurteilungHeute geht es um die Frage, in welcher Weise wir mit uns selbst sprechen. Viele depressive Menschen gehen ziemlich streng mit sich um. Sie verzeihen sich keine Fehler und sprechen so respektlos und abwertend mit sich selbst, wie sie mit anderen Menschen niemals reden würden. Für die meisten ist das ganz normal, weil sie entweder glauben, es nicht anders verdient zu haben, oder weil sie es gar nicht bewusst bemerken.

Ich möchte dich einladen, Dich einmal eine Woche lang täglich zu beobachten, wie Du innerlich mit Dir selbst sprichst. Mit jedem unfreundlichen Gedanken und jeder Verurteilung würdigst Du Dich selbst herab, minimierst Dein Selbstwertgefühl und hältst dadurch Deine Depression aufrecht. Wie jeder andere hast auch Du es verdient, freundlich und respektvoll behandelt zu werden. Daher darfst Du Dir angewöhnen, genauso verständnisvoll und liebevoll mit Dir selbst zu reden wie mit einer guten Freundin.
Am wirkungsvollsten ist diese Übung, wenn Du Dir Notizen machst, sobald Dir ein unfreundlicher Satz bewusst geworden ist. Dann kannst Du Dir positive Alternativen überlegen, die Du Dir nach und nach antrainieren kannst.

Hier sind ein paar Ideen für Deine Selbstbeobachtung:

  • Wie reagierst Du, wenn Dir ein Fehler oder Missgeschick passiert? Denkst Du dann
    „Macht nichts, das kann jedem mal passieren!“ oder „Prima, wieder was dazugelernt!“
    Oder rufst Du verärgert: „Mann, bin ich blöd!!“ und „Nicht mal das bekomme ich hin!“
  • Wie oft verwendest Du den Ausdruck „Ja, aber…“? Viele depressive Menschen neigen dazu, unbewusst dafür zu sorgen, dass ihr Problem in jedem Fall aufrechterhalten bleibt. Sobald eine Lösungsmöglichkeit in Aussicht kommt, tauchen lauter hinderliche Gedanken auf, die sofort alle offenen Türen wieder zuschlagen: „Ja, schon, aber das geht ja nicht, weil… usw.“. Wenn wir diesen typisch depressiven Mechanismus durchschauen, können wir ihn unterbrechen. Beim nächsten Mal kannst Du Dich bewusst für einen neuen Satz entscheiden, z.B.:
    „Ich lasse die Möglichkeit zu, dass dieses Problem gelöst werden darf.“
  • Wie oft verwendest Du im Alltag den Begriff „Ich muss…“?Selbstverurteilung
    Achte einmal darauf, wie sich die folgenden Formulierungen für Dich anfühlen.
    Welche gibt Dir ein kraftvolles Gefühl, welche raubt Dir Deine Energie?
    „Mist, ich muss noch aufräumen.“
    „Ich werde jetzt aufräumen.“
    „Ich entscheide mich dafür, jetzt aufzuräumen.“
    „Ich könnte jetzt aufräumen. Ich darf es aber auch erstmal liegen lassen.“
  • Wie fühlt es sich für Dich an, wenn Du abwertend und verurteilend mit Dir sprichst?
    Woher kennst Du diese Art, wie mit Dir umgegangen wird?
    Sind Sätze wie „Ich krieg aber auch gar nichts hin!“ wirklich zu 100% wahr?
  • Wie fühlt es sich an, wenn Du Dir genehmigst, erstmal alles liegen zu lassen und nicht aufzuräumen? Welche negativen Gedanken über Dich kommen dazu hoch, welche Gefühle? Hier gilt wieder die goldene Regel: Zulassen und klopfen, bis das Gefühl verschwunden ist.
  • Wie möchtest Du gerne, dass mit Dir gesprochen wird? Welche Reaktion würde Dir gut tun, wenn Du einen Fehler gemacht hast? Was würdest Du zu einer guten Freundin sagen? Das gleiche kannst Du auch zu Dir sagen!

 

Das hässliche EntleinFalls Du zu denen gehörst, die glauben, sie hätten aufgrund ihrer vielen Fehler einen liebevollen Umgang nicht verdient: Du bist kein hässliches Entlein, sondern ein genauso wertvoller Mensch wie jeder andere auch. Ich weiß, dass sich das während einer depressiven Phase nicht so anfühlt. Dein negatives Selbstgefühl ist aber nicht real, sondern kommt von der Depression. Sage Dir immer wieder: “Es ist nur ein Gefühl!”

 

Mein persönlicher Tipp: Streiche Sätze, die mit „Ich muss…“ beginnen, komplett aus Deinem Wortschatz.
Das gilt besonders dann, wenn Du unter depressiver Antriebslosigkeit leidest, da diese mit einem riesigen Berg aus gefühlten Anforderungen zusammenhängt. Den kannst Du durch solche kleine Veränderungen Deiner Gedanken minimieren. Natürlich gibt es bei Deinen alltäglichen Tätigkeiten auch Pflichten mit wenig Wahlmöglichkeiten. Es geht nur darum, dass Formulierungen wie „Ich könnte“, „ich möchte“, „ich werde“ oder „ich entscheide mich“ Alternativen sind, die Dir Deine Selbstbestimmung lassen und Dich weniger Energie kosten.

Probier einfach mal aus, in Deiner täglichen Routine bewusst neu zu denken, z.B.:
„Ich möchte morgen zur Arbeit gehen“ anstelle von
„Ich muss morgen arbeiten“.
Auch solche Kleinigkeiten können eine große Wirkung haben! Je öfter Du Dich bewusst für etwas entscheidest, und sei es nur das tägliche Zähneputzen, desto mehr kommst Du wieder in ein Gefühl der Selbstermächtigung. Du steigerst dadurch Dein Selbstwertgefühl und befreist Dich Stück für Stück aus der Depressivität.